21. - 26. August 2022

Die letzten Tage sind wir von Goose Bay wieder etwas südwärts gefahren, haben Fischerdörfer wie Cartwright, Paradise River, Charlottetown oder Pinset Arm besucht. All diese Orte sind klein. Zwei drei Strassen, zwei Dutzend Häuser, ein Gemischtwarenhändler (wie es im Buch steht), selten eine Tankstelle, ein kleiner Hafen und mehrere Fischerboote. Die Lobster-Fangsaison ist vorbei. Alles sehr ruhig, wenige Leute auf der Strasse. Touristen besuchen diese Orte kaum, einige wenige verirren sich höchstens. Was wir von den Leuten hören, ist überall dasselbe. Die Jungen ziehen weg, mit dem Lobster- oder Schneekrabbenfang ist nicht mehr viel Geld zu verdienen und der Fischfang ist überreglementiert. Die Dörfer vereinsamen. Trotzdem sind die Leute, mit denen wir ins Gespräch kommen, freundlich, neugierig, auskunftsfreudig. Immer wieder erfahren wir News aus dem Dorfleben, erhalten Tipps für schöne, sehenswerte Orte. Und wenn wir ihnen, auf ihre entsprechende Frage sagen, woher wir kommen, kennen alle die Schweiz. Berge, Roger Federer, Eishockey, Schokolade sind die Stichworte. Sicher sind wir aber nicht, ob alle genau wissen, wo denn diese Schweiz liegt. Begegnungen wie hier in diesen Fischerdörfern, aber auch solche der vergangenen Wochen, werden uns lange in Erinnerung bleiben. Sie machen denn auch das Reisen so wertvoll.

Noch zurück in Goose Bay zum Beispiel waren wir in einem Waschsalon mit einer älteren Innu-Frau (Innu, früher meist Montagnais genannt, sind eine Gruppe der nordamerikanischen Indianer, die zu den First Nations in Kanada zählen und im Osten der Labrador Halbinsel leben / Wikipedia)  und einem ebenfalls älteren Inuit-Mann (Inuit - indigene Volksgruppen, die im arktischen Zentral- und Nordostkanada sowie auf Grönland leben / Wikipedia) ins Gespräch gekommen. Die Frau erzählte uns über ihr Leben in Labrador, zückte das Handy, zeigte uns Bilder der Familie, ihres Gartens, ihres Heims. Der Mann, etwas verschlossener, schwärmte von den alten Zeiten, als die Air-Force-Base noch offen war. Die beiden geben uns das Gefühl, Teil ihrer Welt zu sein.

Oder die Begegnung vor ein paar Wochen mit einem Mann, der mit seinem mächtigen, schwarzen Ford Bronco neben uns fuhr, nachdem wir in der Nähe eines sehr kleinen und menschenleeren Hafens unser Fahrzeug parkiert hatten. Er fuhr uns, sitzend in seinem Fahrzeug bei laufendem Motor, sehr unwirsch an. Sein Puls war auf 180. Er reklamierte, dass immer wieder Leute hier parken würden, obwohl es sich um ein privates Grundstück handle. Wir versuchten die Situation bestmöglich zu deeskalieren. Natürlich würden wir das Fahrzeug wegstellen, es sei aber auch nirgends entsprechend beschildert. Es dauerte über eine Viertelstunde, bis er sich einigermassen beruhigt hatte, auch, nachdem er uns seine sicherlich nicht einfache wirtschaftliche Lage geschildert hatte. Danach parkte er sein Fahrzeug und ging zu seinem Fischerboot. Noch bevor wir wegfahren konnten, rief er uns zu, ob wir Lust hätten, mit ihm im Boot rauszufahren, er müsse noch ein paar Lobster für das Nachtessen holen. Kurz darauf fuhren wir mit ihm zu einer Boje vor den Hafen, wo er an einem Seil einen Käfig, gefüllt mit Lobstern, aus dem Wasser zog. Daraus entnahm er vier dieser Tiere, erklärte uns dabei das Lobsterleben, die strengen Vorschriften für deren Fang und zeigte uns am lebenden Tier die wichtigsten Eigenschaften. Danach fragte er uns, ob es uns störe, wenn er etwas Gras rauche (ohne uns aber zu fragen, ob wir auch welches möchten) und fuhr dann mit seinem Fischkutter, bevor wir in den Hafen zurückkehrten, der Küste entlang, um uns, hoch oben in den Bäumen, den Horst eines Seeadlers zu zeigen.

Ebenfalls beeindruckend - wie schon einmal in einem früheren Post kurz erwähnt - war für uns die Begegnung mit Einheimischen an einem weiteren Fischerhafen. Am frühen Vormittag sahen wir zu, wie mehrere Fischer einen Fischkutter entluden. Wir stellten uns dazu und sahen, wie sie Kiste um Kiste voll Fisch vom Boot in Fässer, die auf dem Anhänger eines Pickups standen, umfüllten. Mit Schaufeln wurde jeweils Eis beigemengt. Ohne weiteres erlaubten sie uns Fotos zu machen und breitwillig beantworteten sie unsere neugierigen Fragen. Es sei ein guter Tag mit einem aussergewöhnlich ergiebigen Fang gewesen, meinte einer der Fischer. Alles Cod-Fish (Kabeljau). Schliesslich fragte er uns, ob wir welchen möchten. Klar wollten wir das. Nur war uns nicht klar, wie wir ein so grosses Ding ohne zu zerlegen in den Kühlschrank bringen sollten. Glücklicherweise hatte er bereits filetierten Cod in einer weiteren Box. So übergab er uns ohne Wenn und Aber vier riesige Stücke. Klar, was wir zu Mittag assen - absolut fangfrischen und sensationell gut schmeckenden und Kabeljau.

Und dann noch jene bemerkenswerte Begegnung, als wir auf einer über 150 km langen, aber schmalen Schotterpiste (das Kreuzen mit entgegenkommenden Fahrzeugen war jeweils nur im Schritttempo, verbunden mit dem Ausweichen ins Gebüsch, möglich), einen Platz für eine Übernachtung suchten. Die Piste führte fast  ausnahmslos durch dicht bewaldetes Gebiet. Hin und wieder gab der Wald, links und rechts, den Blick auf Seen und Flüsse frei. Aber keine Chance, irgendwo das Fahrzeug auszustellen. Alle abgehenden Wege führten ausnahmslos zu „Cabins“, kleinen Wochenendhäuschen auf privatem Grund. Das langsame Kreuzen mit entgegenkommenden Fahrzeugen hatte den Vorteil, dass wir mit allen (bewusst) ins Gespräch kamen und uns erkundigten, wo es denn möglich wäre, zu übernachten. Die erhaltenen Ratschläge waren nicht sonderlich hilfreich. Entweder zuckten sie mit den Schultern oder sie empfahlen uns einen viel zu weit entfernten Campingplatz. Weder wollten wir noch sehr weit fahren, noch wollten wir auf einen Campingplatz.

Dann jedoch ein Highlight. Zwei Männer in einem kleinen Pickup offerierten uns, ihr Grundstück, etwa fünf Kilometer weiter vorne, direkt am See gelegen, zu benützen. Die Zufahrt sei etwa zwei Kilometer von dieser Strasse weg, sie sei sehr beschwerlich, aber mit unserem Fahrzeug sicher machbar. Die „Cabin“ sei noch nicht ganz fertiggestellt, aber wir könnten sie benützen. Der Schlüssel dazu liege …. . Wir waren absolut beeindruckt ob dieser Freundlichkeit, Herzlichkeit und über das entgegengebrachte Vertrauen. Wir bedankten uns für das Angebot, erklärten ihnen, dass wir ihre Cabin nicht betreten würden, weil wir doch alles in unserem Fahrzeug hätten und ersuchten sie, uns eine Telefonnummer zu hinterlassen, falls wir irgendwie Rückfragen hätten oder sich jemand über unsere Anwesenheit auf ihrem Grundstück wundern sollte. Die Zufahrt war tatsächlich sehr unwegsam, teilweise sumpfig und voller Schlaglöcher, der Platz am See aber traumhaft, idyllisch, ruhig, einsam - schlichtweg beispiellos. Am anderen Morgen, als wir die Schotterpiste längst wieder verlassen hatten und auch der Handyempfang wieder funktionierte, bedankte ich mich bei den beiden Männern telefonisch für ihr Wohlwollen, worauf sie uns anerboten, jederzeit den Platz wieder benützen zu dürfen.

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